Der Stadtradler, flaches Berliner Land gewohnt, will die Berge erobern. Nach Südtirol hat es mich verschlagen, einerseits, um mit der Familie Urlaub zu machen, andererseits, um die Berge mit dem Rennrad zu entdeken. Die letzte Erfahrung dieser Art liegt schon rund 30 Jahre zurück, und da war ich, ich muss es gestehen, doch etwas durchtrainierter. Die Vorbereitung am heimischen Büchertisch war dafür allerdings gründlich, jedenfalls habe ich mir Streckenbeschreibungen durchgelesen und beschlossen: Das schaffst du auch. Zudem kaufte ich mir eine bergtaugliche Kassette. 30 Zähne sollten es schon sein, bei 34 vorne auf dem kleinen Blatt müsste doch jeder Berg flach werden, dachte ich.
Immer wieder: Theorie und Praxis
Doch die Wirklichkeit entpuppte sich dann etwas härter, als es vom Schreibtisch aussah. Jedenfalls entlockten mir die ersten 10- bis 12-prozentigen Steigungen gehörigen Respekt. Wo das gut beladene Auto schon ins Schnaufen kommt, würde ich auf dem Rad kaum fliegen, so schien es mir.
Da wir direkt an der Auffahrt zum Gampenpass wohnen, war der Ruf des Berges dann bald unüberhörbar. Ich folgte ihm.
Was soll ich sagen? Auch neunprozentige Steigungen haben es auf Dauer in sich. Man glaubt als Flachlandbewohner kaum, wie sehr einen das eigene Gewicht gen Tale ziehen kann, welche Kraft man gegen diesen Sog aufwenden muss. Langsam, quälend langsam legt man Entfernungen von einem Kilometer zurück, sehnsüchtig wartet man auf ein flacheres Stück hinter jeder Kehre, der Schweiß rinnt von der Stirn, tropft ins Auge, jeder Wasserschluck scheint in der heißen Kehle zu verdunsten, die Beine werden schwer. Es scheint, als würden sie sich in Betonklumpen verwandelen. Aufgeben wäre allerdings nicht gut fürs Selbstwertgefühl. Ein Gasthof auf halber Strecke kommt da gerade recht – er ist meine Endstation für den ersten Tag. Ich habe ja auch kein Licht für die Tunnels dabei, und die Jacke für die Abfahrt habe ich auch zuhause gelassen. Wie schön geruhsam kann doch so eine harte Holzbank sein, wie herrlich die Welt aussieht, wenn man sie nicht durch das tropfnasse Gesicht eines Radlers am Berg ansehen muss! Und wie schön und berauschend doch so eine Abfahrt ist. Wie schnell sind die schweren Beine vergessen. Morgen komme ich wieder, mit Licht und Windjacke.