Geschafft: Auf dem Gampenpass Fotos: Link
Berge zu fahren, fördert die Wahrheit. Man kann sich nichts vormachen, irgendwann bekommt man die Grenze zwischen Selbsteinschätzung und tatsächlichem Können aufgezeigt. Der Körper lässt sich nicht täuschen, was man schafft, gelingt aus eigener Kraft oder eben nicht – andere kann man nicht verantwortlich machen. Radfahren in den Bergen ist ein Heilmittel für alle Experten der Ausrede. Die Umstände sind für alle gleich. Sie drücken sich meist in Prozent der Steigung aus, vielleicht noch in der Länge der Fahrt hinauf. Es gibt Hilfsmittel wie passende Übersetzungen, aber ums Kurbeln kommt man nicht herum. Respekt, ja eine gewisse Demut vor der Aufgabe können nicht schaden. Hybris jedenfalls hilft hier nicht. Eigentlich ist Radfahren in den Bergen etwas für Manager.
All das geht mir bei meinem zweiten Versuch durch den Kopf, den Gampenpass bei Lana in Südtirol zu erreichen. Tisens, von wo ich starte, liegt 608 Meter hoch, auf 1518 Meter steigt die Straße an. Gut zwölf Kilometer geht es bergauf, acht bis neun Prozent beträgt die Steigung. Die Stelle, an der ich gestern umkehrte, war gefühlt nicht mal die halbe Strecke, ja es schien, als würde jeder Kilometer, den ich weiter vorankam, doppelt in die Beine gehen. Ich fahre durch eine hübsche Landschaft, aber dieser Liebreiz tritt völlig zurück hinter den Rinnsalen des Schweißes, die mir über die Stirn laufen, hintern der Anspannung der Oberschenkelmuskeln, hinter schmerzendem Nacken und Schulterblättern. Die Gedanken versinken in einem Tunnel, ich habe nur noch ein Auge für die paar vor mir liegenden Meter Asphalt, hebe nur den Kopf, um zu schauen, ob irgendwann ein schattiger Abschnitt auftaucht.
Glück kann so einfach sein
Andere Radfahrer kommen mir vom Gipfel entgegen, manch einer grüßt mit einem lässigen Finger-Wink. Sie haben es geschafft. Irgendwann bin ich oben, im Schatten, völlig nass geschwitzt, eine Beleuchtung für den Tunnel wäre übrigens nicht nötig gewesen, so kurz war er. War es wirklich so schlimm? Eigentlich nicht. Merkwürdig, wie schnell die Anstrengung vergessen ist. Stolz? Nein, aber Zufriedenheit, das schon. Es hat geklappt. Und es sind noch Reserven da.
Für den nächsten Pass. Zuerst kommt eine rasante Abfahrt 300 Meter hinunter, dann noch ein Anstieg, aber kürzer als der erste, und dann bin ich auf dem Mendelpass. Vor Jahren war ich schon einmal hier, wenig hat sich verändert. Ein verlassenes Gasthaus sieht noch genauso ausgebrannt aus wie damals, auch die Geschäfte werben mit den gleichen Rabatten für Wanderstöcke, Schuhe und ihre Alpenfolklore. Motorradfahrer kommen an und Wanderer, Bussen entsteigen Touristen, die in den Restaurants essen gehen.
Souvernierläden und Gaststätten auf der Passhöhe Foto: Link
Und dann kommt die berauschendste Abfahrt, die ich jemals erlebte – elf Kilometer abwärts die Mendelpass-Straße. Nein, ich bedauere keinen, der mir entgegen keucht, all die Verrückten, die jetzt in der Mittagshitze hier hoch strampeln, sie werden es nachher genauso genießen, ich aber sause hinunter, das Rädchen surrt, Glück kann so einfach sein.
Das sage ich eine halbe Stunde später aber nicht mehr. Nach einem flachen Stück durch das Obstanbaugebiet um Eppan türmt sich der Schlussanstieg zurück nach Tisens vor mir auf. 14 Prozent Steigung stehen auf dem Straßenschild. Diesmal kapituliere ich. Nicht ganz, ich hab’s probiert, aber die drei Kilometer lange Strecke mit dieser Steigung war mir zuviel. Ich konnte einfach nicht mehr. Aber an die Abfahrt, an die habe ich auch beim Hinaufschieben gedacht.